Noch immer suchen Helfer nach Menschen unter den Trümmern. Doch mit jeder Stunde sinkt die Hoffnung auf Überlebende des Erdbebens in der Türkei und Syrien. Die eisigen Temperaturen sind vor allem für Kinder bedrohlich.
Selbst mit konkreten Zahlen ist die Katastrophe kaum zu fassen: Mehr als 25 000 Menschen sind durch die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien bislang ums Leben gekommen. Tausende weitere Todesopfer werden befürchtet. Die USA sagen millionenschwere Hilfen zu, sowohl für den Nato-Partner Türkei als auch für Syrien. Dort, genauer in Aleppo, präsentiert sich Machthaber Baschar al-Assad erstmals nach dem Unglück öffentlich.
Hoffen auf Wunder in den Trümmern
Beiderseits der Grenze kämpfen die Retter noch um jedes Leben. "Wir machen weiter, bis wir sicher sind, dass es keine Überlebenden mehr gibt", zitierte eine Reporterin des staatlichen türkischen Fersehsenders TRT World am Freitag einen Sprecher der Einsatzkräfte.
Und tatsächlich gibt es noch Berichte über schier unglaubliche Rettungen. In der Südosttürkei wurde eine sechsköpfige Familie nach 102 Stunden unter den Trümmern lebend geborgen. Die Eltern mit ihren Kindern zwischen 15 und 24 Jahren seien ins Krankenhaus gebracht worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Ein Nachbarspaar aus demselben Gebäude sei nach 107 Stunden gerettet worden.
Ebenfalls nach mehr als 100 Stunden wurde ein Zehnjähriger aus einem eingestürzten Haus in der Stadt Kahramanmaras gerettet, wie das israelische Militär am Freitag mitteilte. Die Rettungsaktion habe rund eine Stunde gedauert.
Nach so langer Zeit noch Lebende zu bergen, gleicht einem Wunder. Nur in seltenen Fällen überlebt ein Mensch mehr als drei Tage ohne Wasser. Hinzu kommen die eisigen Temperaturen.
"Wie lange man in einer solchen Situation überleben kann, hängt von sehr vielen Faktoren ab: Wetter, Wasserzufuhr, körperliche Konstitution", sagt Professor Bernd Böttiger, Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes und Direktor an der Uniklinik Köln. "Die Umweltbedingungen der winterlichen Temperaturen treffen vor allem Kinder. Sie kühlen schneller aus als Erwachsene."
Hilfsflüge der Bundeswehr gestartet
Aus dem Ausland rollt nach dem Beben immer mehr Hilfe an. Mehr als 7000 Helfer aus 61 Ländern seien in der Türkei, teilte das Außenministerium in Ankara am Freitag mit. Die Nato teilte mit, mobile Notunterkünfte zu schicken, die mit Heizungen, Stromgeneratoren und medizinischen Behandlungsbereichen ausgestattet würden. Aus Italien ist ein Marineschiff mit Hilfsgütern und einem Feldlazarett auf dem Weg, es verfügt über vier Intensivbetten.
Die USA wollen für die Türkei und Syrien 85 Millionen Dollar (etwa 79 Millionen Euro) bereitstellen. Die Hilfe solle unter anderem Lebensmittel, Unterkünfte, Medizin und Versorgung von Familien umfassen, schrieb US-Präsident Joe Biden am Donnerstag (Ortszeit) auf Twitter. Die Weltbank kündigte an, der Türkei Unterstützung in Höhe von 1,78 Milliarden US-Dollar (1,65 Milliarden Euro) zur Verfügung zu stellen.
Auch Deutschland sagte weitere Hilfslieferungen zu. "Wir stehen an der Seite der Türkei", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Freitag am Militärflughafen Wunstorf bei Hannover, den sie gemeinsam mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) besuchte. "Wir fliegen so lange wie nötig", betonte Pistorius. "Das wird jetzt in den nächsten Tagen so weitergehen." Geliefert werden vor allem Zelte, Betten, Schlafsäcke, Decken, Heizgeräte und Generatoren.
Mehr als 77 000 Verletzte in der Türkei
Die Zahl der Toten in beiden Ländern steigt rasant. Alleine in der Türkei wurden 19 338 Tote gezählt, die Zahl der Verletzten lag zuletzt bei über 77 000. Aus Syrien wurden zuletzt 3384 Tote gemeldet. Somit wurden nun mindestens 22 722 Todesopfer in beiden Ländern gezählt, wobei viele weitere befürchtet werden.
"Wir stehen vor einer Katastrophe, die schlimmer ist als die Tage des Krieges", sagte eine Frau namens Suad in Aleppo der Deutschen Presse-Agentur.
Das erste Beben hatte am frühen Montagmorgen mit einer Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert. Am Mittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,6 in der Region. Nach Angaben der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad gab es seitdem mehr als 1000 Nachbeben.
Erdbeben im Bürgerkriegsland
Präsident Assad und seine Frau Asma besuchten am Freitag in einer Klinik in Aleppo Opfer des Erdbebens, wie die syrische Präsidentschaft mitteilte. Sie veröffentlichte auch Fotos, die die beiden am Krankenbett von Verletzten zeigen.
Assad geht in dem Bürgerkrieg, der 2011 ausbrach, brutal gegen die eigene Bevölkerung vor. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, darunter der Einsatz von Chemiewaffen. Seine Regierung beherrscht inzwischen wieder rund zwei Drittel des zersplitterten Landes - auch Aleppo.
Schwierig ist für die Helfer vor allem die politische Lage in Syrien. Das Problem sei, dass die Regierung und ihre Truppen zuletzt keine humanitäre Hilfe in das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land gelassen hätten, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im WDR-Radio.
Nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) war am Donnerstagabend der erste aus der Türkei geschickte UN-Konvoi aus sechs Lastwagen in der Rebellenregion eingetroffen. An Bord waren Decken, Matratzen, Zelte, Solarlampen und anderes für mindestens 5000 Menschen an Bord. Ein zweiter Konvoi mit 14 Lastwagen überquerte am Freitagmorgen die Grenze und war auf dem Weg nach Idlib, wie ein IOM-Sprecher in Genf sagte.
Quelle: dpa